wintertag


Sie würde vermutlich nicht mehr lange weg sein, jeden Augenblick würde sie die Tür zum Schlafzimmer öffnen und ihn auf frischer Tat ertappen.
Sehen, wie er in ihrer Wäsche wühlte, wie er aufgewühlt war, wie er etwas suchte, das ihm nicht gehörte.

Die ganze Nacht hatte er auf dem Boden zugebracht, hatte geschwitzt, hatte ihre Demütigungen und Befehle ertragen, und ihr Lachen, vor allem ihr Lachen, das ihn zu rückhaltlosem Gehorchsam zwang, während er zu ihren Füßen kniete.
Und er hatte die Nacht genossen, hatte jedes ihrer Worte in seinem Gedächtnis gespeichert, die ihn verhöhnten, hatte den Geruch ihrer ungewaschenen Füße tief in sich aufgesogen, bis seine Lungen davon gebläht waren, ja bis der Duft in jede einzelne Zelle seines Körpers gedrungen war und ihn gänzlich erfüllte, hatte den Schmerz seiner Knie in Wollust verwandelt, die sich auf dem starren Teppichboden vor ihrem Bett langsam aber sicher wund scheuerten.

Und nun war er an der Reihe zu nehmen, sich die Erinnerung an die Nacht greifbar und unvergeßlich zu machen.
Der Reiz des Verbotenen ließ ihn erschauern, und seine Hände zitterten leicht, während er ihren Wäschekorb öffnete, der an der Wand neben dem Bett stand.
Der Deckel stand einen Spalt weit offen, der Korb war bis über den Rand gefüllt mit ihrer Kleidern, sie schien lange nicht mehr gewaschen zu haben.

Er hielt inne und lauschte dem rauschenden Wasser im Badezimmer. Sie stand noch immer unter der Dusche, er hatte also noch ein wenig Zeit.
Seine Hand glitt in den Wäschekorb, ohne den Deckel anzuheben und durchforstete die Landschaft ihrer Schmutzwäsche. Er tastete eine Jeans, eine Bluse, ein Höschen.
Weiter stieß er vor, suchte und tastete, schluckte und atmete schwer, sein Herzschlag beschleunigte sich mit jeder Sekunde, die er in ihren Kleidern verharrte, und kleine Schweißperlen rannen seinen Rücken herunter in seinen Hosenbund.
Dann, mit einer ruckartigen Bewegung, zog er seine Hand zurück ans Tageslicht, seine Finger umschlossen krampfartig ein Paar ihrer Socken, so fest, daß seine Knöchel weiß hervortraten, während er die ineinander geknüllten Stücke Stoff aus dem Wäschekorb riß.
Sie schien die Socken zum Laufen getragen zu haben, nur am Bund war noch das ursprüngliche weiß zu erahnen, das sie nach ihrem Gang durch die Waschmaschine zurückerhalten hätten, wenn es jemals dazu gekommen wäre.
So hatten ihre Füße und der Wald, durch den sie fast täglich lief, ihre Spuren hinterlassen, hatten ein Kapitel im Tagebuch ihres Lebensweges angelegt, das er sich nun nehmen würde, ungefragt und unerlaubt, eine Trophäe ihrer gemeinsamen Nacht, die sie bis zu diesem Moment dominiert hatte.

Langsam öffnete er seine Hand und führte die Socken an sein Gesicht, ließ es eintauchen in ihren Schweiß, ihren Schmutz. Eine sagenhafte Welle des Glücks durchzuckte seinen Körper, so daß er beinahe vergaß, daß er sich beeilen mußte, daß die Zeit zu genießen noch bevorstand, zuerst jedoch mußte er seine Beute in Sicherheit bringen, durfte keinesfalls riskieren, jetzt noch ertappt zu werden, wo er dem Ziel so nahe war.
Mit einem Seufzer stand er auf und verstaute die Socken in seiner Jacke, die neben der Tür auf dem Boden lag, wo sie in der Hitze des gestrigen Abends hingeworfen worden war, eine Socke in die linke und eine in die rechte Tasche.
Aus dem Bad drang nun das monotone Summen ihres Föns, sie würde bald fertig sein und herauskommen.
Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sich von ihr zu verabschieden, dann verwarf er ihn wieder. Ihre Beziehung zueinander bestand aus nichts als ein gegenseitiges Nehmen; wenig Zuneigung und gewiß keine Liebe verband ihn mit ihr.
Nachts hatte er sich in ihre Hand gegeben, und sie hatte nicht gezögert zu nehmen. Ohne daß sie etwas davon wußte, war er nun derjenige, der nahm, nahm sich ihre Socken, um sie in die Sammlung seiner Schätze einzureihen, von denen keine Menschenseele außer ihm etwas wußte.
Er überlegte, ob sie sich absichtlich soviel Zeit im Badezimmer ließ, damit er mit Sicherheit verschwunden war, wenn sie endlich herauskam.
Rasch zog er seine Schuhe an und verließ die Wohnung, ohne sich noch einmal umzusehen.
Auf der Straße blickte er kurz zu ihrem Fenster hinauf und nickte dem leeren Rahmen zu, bevor er eilig um die Ecke bog und sich auf den Heimweg machte.
Tief atmete er die frische Luft dieses herrlichen Wintertages ein und spürte, wie sich sein Herzschlag ein wenig beruhigte.
Mit einem zufriedenen Lächeln steckte er die Hände in die Jackentaschen und genoß die Vorfreude auf das, was nun folgen würde.


© 2006 chanel

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