strandspaziergang


Am Abend spazieren wir gemeinsam den Strand entlang, nur du und ich, wie wir es uns seit Monaten erträumt hatten.
Der Sand ist angenehm warm, den Tag über hat ihn die Sonne gnadenlos aufgeheizt, so daß man nicht darauf gehen konnte, ohne sich die Füße zu verbrennen.
Wir lassen unsere Clogs an der Treppe stehen, die zum Strand führt, und marschieren los, Hand in Hand. Die Sonne geht langsam unter, und eine leichte Brise kommt auf, die uns nach der stehenden Hitze des Tages erfrischend entgegenweht.
Der Strand ist fast leer, nur für uns beide plätschern die Wellen gemächlich vor und zurück, eine Begleitmusik für die Möwen, die in der orangeroten Abendglut vor uns durch die Luft gleiten und ihre gellenden Schreie ausstoßen.

Unsere Schritte haben den gleichen Rhythmus, wir gehen zügig ohne zu eilen, wir schweigen und lassen unseren Gedanken freien Lauf, sie treiben auf den Wellen wie kleine Schaumkrönchen, nie gehen sie ganz im Meer unter, und doch verlaufen sie sich im Sand, ehe sie das Festland unseres Bewußtseins erreichen.

Der Sand massiert unsere Fußsohlen, tausende winzige Körner dringen zu den unzähligen Nervenenden in unseren Sohlen vor und verursachen ein wohltuendes Gefühl im gesamten Körper, das uns mit einer Energie durchströmt, wie wir sie seit langem nicht mehr gekannt haben.

Ich gehe näher ans Wasser heran und grabe meine Füße bis zu den Knöcheln im Sand ein, dann warte ich auf die nächste Welle, die den Sand wieder wegspült, ein ganzes Heer gieriger Zungen, die mit schäumendem Wasser lustvoll an mir lecken, bis meine Füße unbedeckt und naß wieder auftauchen.
Das Meer ist kalt, ich spüre, wie sich eine Gänsehaut auf meinen Waden bildet und bis zu den Oberschenkeln heraufkriecht, schnell gehe ich ein paar Schritte landeinwärts, wo der Sand trocken ist und noch die Wärme der Sonne gespeichert hat.
Langsam kommt wieder Leben in meine Füße, die dünnen blauen Linien füllen sich zu pulsierenden Adern, um die Knöchel herum und auf den Fußrücken treten sie leicht hervor, wie ein Bündel Algen, das von einer Welle achtlos auf einen nackten Stein geschwemmt wird.

Ich wende mich nach dir um und warte, bis du mich eingeholt hast.
Der Wind spielt mit meinem Haar, wir stehen uns gegenüber.
Du streichst mir eine Strähne aus dem Gesicht und steckst sie zärtlich hinter mein Ohr, wir sehen uns an, deine Hand an meiner Wange, dein Kuß schmeckt nach Salz wie die abendliche Brise.

Die Sonne ist fast hinter dem Meer verschwunden, im letzten Licht des Abends kehren wir um und machen uns auf den Rückweg.
Wir begegnen unseren Fußabdrücken im Sand, deinen großen und meinen kleinen, tief und prägnant an den Fersen, dann ein schmaler Rand entlang des Fußgewölbes, nur im nassen Sand sind die Konturen der einzelnen Zehen zu erkennen.
Die näherkommende Flut macht sich treu an die Arbeit, unaufhaltsam pirscht sie sich an unsere Fährte heran, an manchen Stellen hat sie die Spuren unsers Spaziergangs schon verschlungen und ausgelöscht.

Wir sind ein gutes Stück gelaufen, es ist dunkel, als wir die Treppe erreichen, von der aus wir zum Strand gelangt sind.
Wir schlüpfen in unsere Clogs und gehen zum Haus zurück, es ist kühl geworden, der Wind hat an Stärke zugenommen.
Wir entfachen ein Feuer im Kamin und kochen uns Kaffee, dann sitzen wir mit unseren dampfenden Bechern auf dem Sofa und spüren dem wohligen Kribbeln nach, das der Strand in unseren Fußsohlen hinterlassen hat.

Ich lege meine Füße auf deinen Schoß, die Berührung deiner Hände läßt meinen ganzen Körper erschauern, der sanfte Druck deiner Finger versetzt mich in Gedanken zurück an den Strand. Liebevoll massierst du jede einzelne meiner Zehen, tastest unter der dünnen Haut meines Fußrückens nach meinen strapazierten Muskeln und Sehnen und löst jede Verspannung darin, bis meine Füße weich und anschmiegsam in deinen warmen Händen ruhen.

Ich schaue zu dir herüber und erkenne Tränen in deinen Augen, die über deine geröteten Wangen rollen und auf meinen sandigen Füßen landen, und ich stelle mir vor, wie die Sandkörner davon an das salzige Naß des Meeres erinnert werden, das sie einst an Land spülte, und sie würden eine Sehnsucht nach dem heimatlichen Strand spüren, die meiner Sehnsucht nach dir in den vergangenen Monaten ähnelte.

Ich schließe die Augen und gebe mich dir vollkommen hin, deinen Händen, deinen Lippen, werde eins mit dir und der Nacht.
Nie soll der Tag am Meer zu Ende gehen.


© 2006 chanel

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