novembertage


Es war einer dieser grauen kalten Novembertage. Nachts hatte es geregnet und die Luft war voll mit einer feuchten Kälte, die irgendwie durch die Wände und durch jede Ritze ins Haus zu kommen schien. Das Einzige, was mich überhaupt dazu bewegte mein warmes Bett zu verlassen, war eine frische Tasse Kaffee. Die Lust auf etwas Heißes, das Koffein beinhaltete, war dann doch stärker als mich das fünfte Mal wieder umzudrehen. Ich zog meinen Bademantel an, der kalt und klamm vor meinem Bett lag, und huschte auf nackten Füßen in meine Küche. Während die Kaffeemaschine gluckernde Geräusche von sich gab, hörte ich meinen Anrufbeantworter ab. "Tach Jan, ich bins, wollte nur kurz sagen, geht klar mit heute Abend, neun Uhr bin ich da, erwarte einen gut gekühlten Rotwein zum Salat, bis später."
"Ich bins" war Groni, oder auch Georg Groning, der, wenn er sagte "neun Uhr bin ich da", keinesfalls vor viertel vor zehn, eher noch halb elf bei mir auftauchen würde. Da er aber den Status "bester Freund" hatte, verzieh ich ihm das gerne.
Der Duft von frischem Kaffee verbreitete sich langsam in meiner mittlerweile auch angenehm warmen Küche.
Es war Sonntag, einer dieser furchtbaren Sonntage, die einem das Alleinsein immer erst richtig bewusst machten. Noch dazu war draußen alles grau, und der Himmel schien endlos weit in dieser trostlosen Farbe eingefärbt.
Ich setzte mich an meinen Küchentisch und schaute in die gegenüberliegenden Fenster. Ich weiß nicht, wie viele Wohnungen es waren, vielleicht zwanzig oder mehr. Unsere Häuserreihen trennten nur einige Garagen und ein kleines Stück Grünfläche, so dass man einen recht guten Blick auf das, was gegenüber passierte, hatte.
Obwohl ich niemanden der Menschen dort kannte, hatte ich oft das Gefühl, ich kannte sie doch.
Da war die hübsche Blonde, ich nannte sie Sarah, weil sie so nach Sarah aussah. Im Sommer saß sie oft auf ihrer Terrasse und las Bücher oder machte sich Notizen, vielleicht studierte sie. Ihr gehörte wohl auch die schwarz-weiße Katze, denn ich hörte sie ab und an nach ihr rufen oder sah sie mit dem Futternapf herauskommen. Die Katze war eine derjenigen, die auch mich kannte, ab und an saß sie auf der Garage und schaute zu mir nach oben. Sarah hatte einen Freund, manchmal küssten sie sich in ihrer Küche oder lagen Hand in Hand in einem Liegestuhl.
Daneben wohnte die langweilige Elke, die natürlich wohl auch nicht Elke hieß, die aber oft irgendwie, der Welt entrückt, nur vor sich hinstarrte. Gut, vielleicht hörte sie Musik, das konnte ich von hier oben nicht ausmachen. Elke war, nett ausgedrückt, etwas fülliger und trug Jeans mit einfarbigen Sweatshirts und Halstüchern. Dazu einen Kurzhaarschnitt und eine, meiner Meinung nach, etwas zu groß geratene Brille.
Beide schienen aber heute nicht da zu sein, in den Wohnungen bewegte sich nichts und es war auch kein Licht zu sehen. Über Sarah wohnte Herr Muskel, ich nannte ihn so, weil er andauernd irgendwelche Hantel- und Dehnübungen in seinem Wohnzimmer veranstaltete. In regelmäßigen Abständen, spannte er dann die Arme an und sah sich seine Muskeln an. Dass es im Laufe der Zeit jedoch viel mehr geworden war, konnte ich nicht gerade sagen, wenigstens konnte ich von hier aus keine deutlichen Veränderungen erkennen.
Heute flimmerte der Fernseher in seiner Wohnung, vielleicht war er krank, es waren ja viele Leute krank bei diesem Wetter. Oder er hatte die Übungen aufgegeben, weil sie seine Arme nicht dicker machten. Eventuell gönnte er sich aber auch nur eine Ruhepause, weil er schon den ganzen Morgen trainiert hatte, wer weiß das schon.
Daneben wohnte bis vor einem Monat noch Oma Mutzke, die ausnahmsweise wirklich so hieß, weil sie die Oma eines ehemaligen Kommilitonen von mir war. Eine kleine alte Frau, die sich viel in ihrer Küche aufhielt oder im Sommer stundenlang mit ihren Balkonkästen beschäftigen konnte. Seit zwei Wochen wohnte dort ein junger Mann, ich schätze ihn auf Anfang dreißig. Ich hatte ihm noch keinen Namen gegeben, dafür kannte ich ihn noch viel zu wenig. Ich musste doch wenigstens ein Gefühl zu dem Namen in meiner Phantasie haben, und dazu brauchte es wohl noch ein wenig Zeit.
Während ich langsam meinen Kaffee trank und eine Zigarette rauchte, sah ich, dass er Besuch hatte, eine Frau war bei ihm. Sie saßen am Küchentisch und tranken wohl auch Kaffee und sie schauten sich in die Augen und lachten, während er ihre Hände hielt. Ein nettes Bild, dachte ich und schämte mich fast ein wenig, ihnen auch noch zuzuschauen als sie aufstanden und sich küssten. Ich sah, wie er ihren Rücken und ihren Po streichelte, sie hatte die Arme um seinen Kopf gelegt. Sie war, denke ich, auch so um die dreißig, hatte einen kleinen Pferdeschwanz und dunkelblondes Haar.
Ich holte mir ein Brötchen von gestern aus der Tüte und den Aufschnitt aus dem Kühlschrank.
Als ich in mein Brötchen biss, musste ich noch einmal hinschauen. Ich sah sie auf dem Küchentisch sitzen, wo war er denn?
Ich ging ein wenig höher, um ihn zu sehen. Er kniete vor dem Küchentisch und streichelte ihre Beine, dabei schaute er sie die ganze Zeit an. Ich konnte meinen Blick nicht mehr abwenden, wollte plötzlich wissen, was die beiden da machten, und wie es weiterging. Ich kniete mich auf meinen Stuhl, um besser sehen zu können. Sie trug eine Jeans und alte grüne Turnschuhe und ich sah, wie er langsam den ersten Schuh öffnete, seine eine Hand zog die Schleife auf und die andere Hand fasste von unten an den Schuh und streifte ihn von ihrem Fuß. Dann nahm er den Fuß in beide Hände und rieb ihn durch sein Gesicht. Ich merkte, wie ich immer näher an meine Fensterscheibe ging und meine Nase an das Glas stieß, ich wollte das alles viel näher sehen, ich wollte dabei und doch nicht dabei sein.
Mein Fernglas, schoss es mir durch den Kopf, wo ist mein Fernglas? Ich rannte ins Wohnzimmer und zog die erste Schublade von meinem Schreibtisch auf, natürlich nichts. Während ich im Schreibtisch weitersuchte, überlegte ich fieberhaft, wo es nur sein konnte. Es war in der Kiste unter dem Sofa, zusammen mit dem alten Fotoapparat und den Alben und den Umschlägen mit den Negativen, dort hatte ich es nach dem letzten Urlaub verstaut, weil, wann brauchte man in der Stadt schon mal ein Fernglas? Ich lief zurück in die Küche und kam mir nicht einmal schäbig dabei vor, nun alles noch näher sehen zu können.
Ich war angespannt und erregt zugleich. Er kniete immer noch zu ihren Füßen und war gerade dabei ihr den zweiten Turnschuh auszuziehen. Sie trug weiße Söckchen mit kleinen hellblauen Streifen. Ich sah, wie er nun beide Füße in die Hand nahm und sein Gesicht an ihnen rieb. Sie lächelte von oben herab und fuhr ihm dann eigenständig mit dem Fuß vom Hals über den Mund und die Nase bis an die Stirn. Dann drückte sie ihm beide Füße ins Gesicht und drehte sie ein wenig. Ich sah sie reden und fragte mich, ob sie ihm vielleicht sagte, was er tun sollte, weil er nun anfing ihr einen der Söckchen auszuziehen. Während er sie langsam vom Fuß abstreifte, leckte seine Zunge gleichzeitig an ihrer Ferse hoch bis zu ihren Zehen und genauso machte er es beim zweiten Fuß. Ich merkte, wie mein Atem schneller und mein Schwanz unter meinen Bademantel hart wurde, ich drückte mich gegen die Fensterbank, wie mochte ihr Fuß wohl schmecken, den er mittlerweile in seinem Mund hatte? Was mochte das für ein Gefühl sein, so an den Zehen einer Frau zu lutschen wie er es tat? Wie roch dieser Fuß? Sie hatte alte Turnschuhe angehabt und das Weiß der Söckchen war schon auch verfärbt gewesen, soviel konnte ich von hier oben erkennen.
Ich sah, wie sie sich mit den Händen auf dem Küchentisch abstütze und ich sah ihr entspanntes Gesicht, sie schien es zu genießen. Sein Gesicht konnte ich kaum erkennen, er war dabei, ihre Füße zu lecken, zu massieren und zu küssen. Ich beneidete ihn, wie gerne wäre ich an seiner Stelle gewesen und ich wünschte, es wäre meine Zunge, die sich zwischen jedem einzelnen Zeh ihren Weg suchte. Ich würde mich auch gerne ihr zu Füßen legen und sie schmecken und riechen, ich würde gerne ihren schnellerwerdenden Atem hören bei jeder meiner Berührungen.
Ich sah, wie er ihre Unterschenkel weiter hoch küsste und seine Hände ihre Beine streichelten. Er stand auf und hob sie vom Küchentisch und trug sie hinaus. Ich versuchte, mit dem Fernglas zu erahnen, wo sie hingingen, aber im Schlafzimmer waren die Vorhänge zugezogen, so dass man nicht sehen konnte, wie es weiterging.
Ich setzte mich wieder auf meinen Stuhl und zündete mir eine Zigarette an. Ich war immer noch erregt, aber auch gleichzeitig berührt. Sie hatten meine Phantasie angeregt, ich hatte Lust, mich gleich noch einmal ins Bett zu legen und ein wenig meinen Träumen nachzuhängen.
Und, ich würde sie Christina und Lars nennen, warum auch nicht? Was musste ich mehr wissen? Es waren wieder zwei Menschen mehr in meinem Leben, die mich zwar nicht kannten, aber ich kannte sie. Und das, was ich von ihnen kannte, war mir auf einmal mehr als vertraut. Als ich noch einmal hinaussah, sah ich die schwarz-weiße Katze auf der Garage sitzen und mich anschauen. Ich weiß nicht, ob sie die ganze Zeit schon dort gesessen hatte, es war mir auch egal. Ich stand auf und blinzelte ihr zu und ging in mein Schlafzimmer.


© 2005 jutta

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