entscheidungen


Vielleicht war es eine Gewohnheit von ihm, aber immer wenn er ein Buch las, atmete er beim Umblättern immer einmal tiefer ein, als während des Lesens einer Seite. Ich beobachtete ihn schon eine ganze Weile über den Rand meines Buches hinweg. Eigentlich war alles wie immer, auf dem Tisch standen zwei Rotweingläser, eine Kerze brannte und wir lagen Fuß an Fuß auf dem Sofa und jeder von uns las ein Buch. Und eigentlich hatte ich diese seltenen Abende voll Ruhe immer geliebt. Sie hatten was vertrautes, was von Geborgenheit und auch etwas von Liebe. Ab und an blickte Hendrik hoch, oder sein Fuß streichelte meinen, manchmal schlief einer von uns beiden beim Lesen ein und der andere weckte ihn dann.
In den letzen Wochen aber konnte ich kaum Ruhe finden. Zu meiner immerwährenden eher unruhigen Art kamen noch Zweifel, Unzufriedenheit und ein Gefühl von Getriebensein breitete sich aus. Was führte ich für ein Leben? War alles in Ordnung? Was fehlte mir? Ich verbrachte Stunden damit, mir Gedanken über alles Mögliche zu machen.
Elisa, meine beste Freundin, erklärte mich für verrückt, verstand nicht, worüber ich mich beklagte. "Sophia, du hast alles was man sich wünschen kann. Einen tollen Beruf, keine Geldsorgen, einen tollen Mann, der dich liebt und den du liebst." Ja, objektiv gesehen hatten wir alles und beklagen konnten wir uns wirklich nicht. Ich arbeitete als Lektorin in einem großen Verlag und Hendrik und sein Bruder hatten sich vor 3 Jahren als Architekten selbständig gemacht. Liebte ich Hendrik? Ich sah ihn mir an, wie er sein Buch hielt. Seine blonden kurzen Haare waren etwas verwuschelt heute Abend und sein Gesicht sah müde, aber zufrieden aus. Er war immer zufrieden, ein ganz und gar ewig zufriedener Mann. Die Konstante in meinem Leben. Gab es ein Problem, Hendrik war da, ruhig und sachlich und auf jeden Fall immer überlegt. Manchmal fragte ich mich, wie er mich lieben konnte? Ich war oft aufgebracht, chaotisch und von Diplomatie oder langem Überlegen konnte bei mir nicht die Rede sein. Er schaffte es, meine kuriosesten Bedenken zu zerstreuen und mich aus den verrücktesten Situationen zu holen. Er schien nie unbeteiligt oder unberührt zu sein, aber er fiel niemals aus der Rolle. Selbst beim Sex war es so. Wir hatten immer sehr schönen Sex und ich konnte nehmen, geben und genießen, und dafür, daß wir schon 5 Jahre verheiratet waren, hatten wir immer noch mindestens dreimal pro Woche Sex. Glaubt man den Statistiken diverser Frauenzeitschriften, liegt das schon beträchtlich über dem Durchschnitt.
Aber auch da war er ruhig und besonnen, kein lautes Stöhnen, kein Versagen, keine wild ausgelebten Phantasien. Manchmal flüchtete ich mich in solche um zu kommen.
Heute Abend machte mich seine Art wahnsinnig, er lag ruhig da, las sein Buch und war wie immer konzentriert bei einer Sache. Ich war wie gefesselt auf dem Sofa, jedes Liegenbleiben war fast wie eine Folter. Ich stand auf und ging ins Bad, ich hätte am liebsten gegen den Mülleimer getreten. In Gedanken sah ich ihn aus dem Fenster fliegen und hörte den befreienden Klang der splitternden Fensterscheibe.
Ich war wütend und schlug auf die Klospülung, so daß mir die Hand weh tat.
Ich ließ kaltes Wasser laufen und fuhr mir mit den nassen Händen durch das Gesicht.
Ich wollte nicht mehr lesen. Ich wollte keine Ruhe und ich wollte dieses Gefühl loswerden. Dieses Gefühl, das mich seit Wochen begleitete.
Ich wollte Hendrik schütteln, ihn auch einmal erstaunt sehen, ihn schreien, stöhnen oder sonst was hören.
Ich schaute in den Spiegel und überlegte, ob ich vielleicht übergeschnappt war.
In Gedanken ging ich ins Wohnzimmer und schlug ihn ins Gesicht, einfach so, ohne daß irgendetwas passiert war.
Ich konnte allerdings nie besonders gut schlagen, mir fehlte definitiv die Kraft in den Armen.
Ich ging wieder ins Wohnzimmer. Hendrik lag noch genauso wie vorher da und er atmete tief ein, als er umblätterte. Ich ging auf ihn zu, ich wollte mich aber nicht runterbeugen, um ihn zu schlagen, ich wollte über ihm bleiben. In dem Augenblick, als er mich anschaute, trat ich ihm einfach ins Gesicht. Es war wie ein Automatismus, mein Fuß landete direkt auf seiner Nase und er wurde zurückgedrückt. Zum erstenmal hörte ich ihn stöhnen, sah seine weit aufgerissenen Augen. Er packte meinen Fuß, und ich befürchtete, er würde mich nach hinten werfen. Aber er nahm ihn und drückte ihn noch mal auf sein Gesicht, und ich hörte ihn laut atmen. Ich spürte seine Zunge an meiner Fußsohle. Er leckte meinen Fuß und fing an, gierig an meinen Zehen zu lutschen. Ich hatte ihn noch nie so erregt gesehen, er zitterte, als seine Zunge zwischen meine Zehen fuhr. Ich zitterte auch und ich merkte wie ich feucht wurde, ich wollte ihm einfach nur zuschauen, genoss seine Geilheit und sein Atmen machte mich wahnsinnig. Mein Bein vibrierte, als er sich aufsetzte und daran entlang immer höher leckte.
War das Hendrik? War das der gleiche Mann von gerade auf dem Sofa, der nun mit seinem Kopf zwischen meinen Beinen lag?
Ich wollte nicht mehr nachdenken, wollte mich auf ihn setzen und mich mit ihm zusammen bewegen, wollte ihn kommen sehen und sein Stöhnen und seinen Blick genießen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ein Zettel auf dem Frühstückstisch, darauf hatte er einen kleinen Fuß gemalt in dem stand: "Ich freue mich auf heute Abend meine Süße."
Ich fühlte mich immer noch energiegeladen und aufgekratzt, aber das war was anderes:
"Ich mich auch", schrieb ich darunter, bevor ich meinen Tag begann.


© 2005 jutta

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